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22. September 2023 | EspaceSuisse-Direktor Damian Jerjen zieht Bilanz zu 10 Jahren RPG1

Der Zeit voraus und doch vor fundamentalen Herausforderungen für eine Raumentwicklung im Sinne einer starken Nachhaltigkeit

Die RZU lädt 10 Jahre nach dem grossen Ja zum neuen Raumplanungsgesetz erfahrene Planerinnen und Planer ein, vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Erfahrungen Bilanz zu ziehen. Am 4. September blickte Damian Jerjen, Direktor EspaceSuisse, auf diese Zeit zurück. Der Ökonom und Raumplaner war ab 2009 Kantonsplaner im Kanton Wallis und leitet seit 2019 den Schweizer Raumplanungsverband EspaceSuisse. Dieser weite Erfahrungshintergrund prägte auch seine Ausführungen.

Zum Einstieg verwies Damian Jerjen auf ein kürzlich in der NZZ am Sonntag veröffentlichtes Zitat eines Ökonomen einer bedeutenden Schweizer Bank. Dieser sah die Schuld für die Wohnungs­not bei der Planungs­gesetzgebung. Tatsächlich bilde aber, so Jerjen, nicht die Raumplanung, sondern der zusehends knappere, unterschiedlichsten Aufgaben und Ansprüchen ausgesetzte Raum das eigentliche Problem. Das RPG von 1980 war und ist für den Direktor von EspaceSuisse grundsätzlich ein gutes Gesetz, abgesehen von den unzähligen, über die Jahre eingefügten Ausnahmebestimmungen beim Bauen ausserhalb der Bauzone, die die Dynamik der Zersiedlung verstärkten. In dieser Entwicklung ortete er einen wesentlichen Grund, weshalb 2013 RPG 1 so deutlich angenommen wurde.

Mit RPG 1 wurde der Fokus der Raumplanung weg vom Einzonen auf der grünen Wiese hin zum Bauen im Bestand gelegt. Damit entstand für die Planung eine anspruchsvolle, oft auch hoch komplexe Aufgabe, die viele Widerstände zu überwinden hat, wie Damian Jerjen exemplarisch anhand seiner Erfahrungen im Kanton Wallis darlegte. Das Wallis hat 2013 als einziger Kanton RPG 1 abgelehnt. Letztlich hat aber der Kanton dann doch eingelenkt und war in der Folge einer der ersten Kantone mit einem kantonalen Raumentwicklungskonzept (REK), welches den Anforderungen von RPG 1 entsprach. Schliesslich wurde auch das kantonale Raum­planungs­gesetz mit einer ¾-Mehrheit angenommen – nach sehr emotionalem, oft auch polemisch geführtem Wahlkampf. Gleichzeitig gibt es gute Argumente für eine Siedlungsentwicklung nach Innen, die Damian Jerjen in seinem Vortrag in 10 Aspekten für Siedlungsqualität zusammengefasst hat (Foliensatz Seite 6, Folie 14). Dabei betonte er, dass der Fokus auf Siedlungsqualität gerade im ländlichen Raum und den kleineren Städten wichtige Impulse setzen könne.

In seinen anschliessenden Ausführungen zu 5 Herausforderungen und 5 positiven Errungenschaften von RPG 1 wird einerseits deutlich, wie stark die Kernprinzipien von RPG 1 heute die planerische Praxis in vielen Teilen der Schweiz prägen. Das «Credo Innenentwicklung vor Aussenentwicklung» ist akzeptiert und Qualität statt Quantität steht bei der Siedlungsentwicklung im Fokus. Weiter ist seit 2013 der kantonale Richtplan gestärkt worden und REKs sind heute ebenso Usus wie die Zusammenarbeit über Disziplinengrenzen hinweg auf der Suche nach qualitätsvollen und am Ort angemessenen Lösungen. Andererseits, so Jerjen, stehen die Gemeinden bei Rückzonungen nach wie vor grossen Herausforderungen. Da überwiegen die Nutzungs­interessen zu oft noch gegenüber den Schutzinteressen. Gleichzeitig gelte es, ortsspezifische Antworten zu finden und die überkommunale Ebene z.B. über ein entsprechend ausgerichtetes Planungsinstrument ähnlich dem Aggloprogramm zu stärken. Schliesslich müsse sich die Raumplanung den Grenzen des Wachstums stellen. Wie Ariane Widmer im Auftaktsvortrag dieser Reihe mit dem «Socle du vivant» die Ökologie als Grund­lage des zukünftigen Handelns definierte, betrachtete Damian Jerjen den langfristigen Erhalt der Biosphäre als Ausgangs­punkt zukünftigen Handelns und damit der Raumplanung. Dazu bedürfe es einer politischen und gesellschaft­lichen Debatte weg von «nur CO2» zu einer «integralen Diskussion» über das Wachstum. Es geht dabei um eine neue Prioritätenordnung, die die Bedürfnisse der ökologischen Dimension als Fundament begreift, an denen sich im Sinne einer starken Nachhaltigkeit die soziale und abschliessend die ökonomische Nachhaltigkeitsdimension orientieren müssen. Das Bild der sogenannten «Hochzeitstorte der Nachhaltigkeit» (Stockholm Resilience Center) illustriert dies anschaulich.

In seinen Schlussbemerkungen strich Damian Jerjen drei Punkte besonders hervor. Im Blick zurück wird für ihn erstens deutlich, dass das Raumplanungsgesetz seiner Zeit voraus war. Bezüglich der heutigen Situation stellte er zweitens fest, dass RPG 1 noch nicht überall greift. In diesem Zusammenhang diagnostizierte er mit Blick auf die Gegenwart, dass Planung dringend Ressourcen und Fachkräfte benötigt, um dem Auftrag zur Innen­ent­wicklung nachkommen zu können. Damit unterstrich er die fundamentale Bedeutung der Ausbildung. Drittens schließlich betonte der Direktor von EspaceSuisse hinsichtlich der Zukunft die große Verantwortung der Raum­planung für die Transformation der Schweiz zu einer postfossilen Gesellschaft.

Ein zentraler Fokus der anschliessenden Diskussion mit Angelus Eisinger bildete noch einmal der Themen­komplex «Wachstum». Die Raumplanung kann über räumliche Entwicklungskonzepte (REK) zwar Vorgaben für die behördenverbindliche Richtplanung machen. Gleichzeitig stellt Damian Jerjen fest, dass die Raumplanung als Disziplin in vielen Fällen nach wie vor übergangen wird. Beispielhaft verweist er auf das Thema Energie und das Know-how der Raumplanung für Positivplanungen, mit der ideale Standorte für Anlagen für erneuerbare Energien definiert werden könnten. Mit Blick auf die Zukunft ist für ihn die Priorisierung der ökologischen Dimension zentral. Um eine qualitätsvolle Innenentwicklung angesichts der Herausforderungen des Klima­wandels zu ermöglichen, sollte die Raumplanung mit Hilfe des Raumkonzepts Schweiz und der Richtpläne Grundlagen für eine Entwicklung im Sinne einer starken Nachhaltigkeit schaffen. Eine konsequente Umsetzung einer qualitätsvollen Innenentwicklung führe gleichermassen zur dringend angezeigten Priorisierung ökologischer Themen.

Die RZU-Veranstaltungsreihe der persönlichen Bilanzen erfahrener Planerinnen und Planer zu 10 Jahren Innenentwicklung findet am 2. Oktober mit dem Vortrag von Markus Nollert, urbanista, seine Fortsetzung. Markus Nollert wird als Planer, der in sehr unterschiedlichen Räumen und Massstäben in der Schweiz unterwegs ist, sein Fazit ziehen.