Wie können Gemeinden die laufende Transformation der Einfamilienhaus-Quartiere beeinflussen, Handlungsoptionen erkennen und sich aktiv einbringen? Diese Fragen standen im Zentrum der RZU-Fachveranstaltung «Zukunft Einfamilienhaus-Quartiere» vom 30.06.2022 mit ca. 50 Teilnehmenden.
Resümee
Die Fachveranstaltung zeigte auf, dass sich Städte und
Gemeinden aktiv um das Thema Einfamilienhaus (EFH) kümmern sollten. Ein
wesentlicher Grund liegt darin, dass es in vielen Gemeinden EFH-Gebiete mit
grossen Nutzungsreserven sowie mit einem alternden Bestand gibt, der häufig
unternutzt ist. Dementsprechend ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass diese
Gebiete in den nächsten Jahren transformiert werden. Vor diesem Hintergrund
sollten die Gemeinden in der Richt- und Nutzungsplanung bestimmen, welche EFH-Gebiete
erhalten und sanft verdichtet und welche EFH-Gebiete zwecks Erhöhung der
Einwohnerdichte transformiert werden sollen. Das komplexe Themenfeld des
Einfamilienhauses braucht aber auch spezifische Strategien und Handlungsansätze,
die neben den kleinteiligen Eigentumsverhältnissen auch die baulichen, (erb-)rechtlichen,
sozialen und finanziellen Aspekte des Einfamilienhauses berücksichtigen. Eine
solche Strategie bedingt auch die Koordination zwischen den verschiedenen zuständigen
Verwaltungseinheiten etwa aus den Bereichen Raum- und Verkehrsplanung, Grünraum
und Energie. Diese verwaltungsinterne Koordination trägt dazu bei, dass die planerisch
gesetzten Ziele zum Umgang mit den Einfamilienhausgebieten effektiv umgesetzt
werden können.
Fakten und Zahlen zum Einfamilienhaus
Zu Beginn der Veranstaltung präsentierten RZU-Präsident Max Walter und Direktor Angelus Eisinger ausgewählte Fakten und Zahlen zum Einfamilienhaus (EFH): Einfamilienhäuser machen etwa 46% aller Gebäude mit Wohnnutzung im RZU-Gebiet aus. Schweizweit liegt die Wohnfläche pro Kopf im EFH bei 59m2, verglichen mit 43m2 in Mietwohnungen. In vielen EFH-Quartieren bestehen grosse Nutzungsreserven und gemäss einer ZKB-Studie vom April 2022 sind im Kanton Zürich mehr als 70% der EFH «unterbelegt». In 60% aller EFH leben maximal zwei Personen, in 15% lebt sogar nur noch eine Person. Dies stellt ein enormes Wohnraumpotenzial dar, das aber angesichts der kleingliedrigen Eigentumsverhältnisse nur schwer realisierbar ist. Das EFH wird zwar weiterhin stark nachgefragt, es wird aber zum «Auslaufmodell»: Gemäss der ZKB-Studie nehmen EFH-Neubauten im Kanton Zürich kontinuierlich ab und gleichzeitig werden immer mehr EFH durch Mehrfamilienhäuser (MFH) ersetzt. Häufig löst sich dadurch der gewachsene Charakter der Quartiere auf, mit Folgen für Erschliessung, Parkierung und Durchgrünung. In fast allen RZU-Gemeinden finden sich 30 bis 60 Jahre alte «EFH-Hotspots», also der «alternde» EFH-Bestand, in denen sich die genannten Herausforderungen heute schon stellen oder in naher Zukunft stellen werden (vgl. Karte).
Angesichts dieser Aufgabenstellungen, Herausforderungen und Chancen sollten sich Städte und Gemeinden mit dem Thema Einfamilienhaus auseinandersetzen und differenzierte Vorstellungen zum Umgang mit EFH-Gebieten entwickeln.
Bauliche, soziale, finanzielle und rechtliche Aspekte sind wichtig
Anja Umbach-Daniel (EBP Schweiz), Florian Niggli (niggliundpartner) und Thierry Grote (Honegger & Grote) zeigten in ihren Vorträgen auf, dass beim Thema Einfamilienhaus nicht nur bauliche Fragen, sondern auch soziale, finanzielle und juristische Aspekte wichtig sind. Anja Umbach-Daniel stellte das Format einer Impulsveranstaltung vor, die zusammen mit einer Gemeinde und unter Beizug von externer Expertise zu den Themen Bauen, Recht und Finanzen durchgeführt werden kann. Die Impulsveranstaltung richtet sich an EFH-Besitzer*innen ab 55 Jahren, die sich und ihre Immobilie auf die Zeit nach dem Auszug ihrer Kinder vorbereiten wollen. Den Teilnehmenden einer solchen Veranstaltung werden anhand von Fachreferaten und Beispielen aus der Praxis die vielfältigen Optionen für den Umgang mit der eigenen Immobilie in der dritten Lebensphase aufgezeigt. Damit soll ein Beitrag für eine möglichst gute, finanziell tragfähige sowie energieeffiziente Nutzung der bestehenden Immobilien geleistet werden.
Der Architekt und Bauingenieur Florian Niggli (niggliundpartner) stellte verschiedene realisierte Beispiele für einen Umbau und eine Ergänzung oder Aufstockung bestehender EFH vor, die immer auch mit einem Gewinn an Ausnützung verbunden gewesen sind. Beim Abwägen zwischen dem Erhalt des bestehenden Baus und einem Neubau müssen viele Aspekte einbezogen werden: Relevant sind die bestehenden Vorgaben und Möglichkeiten aus der BZO, bauliche Fragen etwa im Hinblick auf die bestehende Statik und Raumstruktur, die Kosten für den Umbau, die energetischen Einsparungen oder die zu erwartenden Einnahmen aus neuen Wohnungen oder Wohnräumen. Im Hinblick auf die Entscheidung zwischen «Weiterbau» und Neubau sind wesentlich auch erbrechtliche wie emotionale Aspekte im Blick zu behalten, die bei einem EFH immer stark ins Gewicht fallen. Zudem wird laut Florian Niggli ein Erhalt immer auch mit einem Verzicht auf die volle Ausnützung verbunden sein.
Thierry Grote (Honegger & Grote) zeigte abschliessend relevante rechtliche und finanzielle Aspekte im Hinblick auf einen EFH-Besitz auf. Viele EFH-Besitzer*innen sind sich der finanziellen Folgen bei einem Todesfall oder einer Scheidung nicht bewusst. Die bewusste Entscheidung für eine Eigentumsform (Alleineigentum, Miteigentum oder Gesamteigentum) ist deshalb wichtig. Eine weitere Herausforderung ist die Liquiditätssicherung im Alter. Je nach Situation kann eine Teilvermietung in Kombination mit dem Bau einer Einliegerwohnung oder einer Aufstockung dazu beitragen, dass die Immobilie durch die zusätzlichen Mieteinnahmen auch nach der Pensionierung finanziell tragbar bleibt. Andere Optionen sind der Teilverkauf – entweder in Form von Abparzellierung oder Stockwerkeigentum – oder die Weitergabe an die Nachkommen. Aus Sicht von Thierry Grote bietet das versteckte Wohnpotential bei EFH zusammenfassend viele Chancen, die Optionen und Lösungen sind aber sehr situativ und sollten unter Einbezug der Nachkommen bestimmt werden.
Entwicklungsvorstellungen zum Umgang mit EFH-Gebieten erarbeiten und umsetzen
Die abschliessenden Diskussionen auf dem Podium und zusammen mit dem Publikum zeigten auf: Grundsätzlich sollten die Städte und Gemeinden den Umgang mit Einfamilienhaus-Gebieten in ihrer Richt- und Nutzungsplanung behandeln. Dort sollte bestimmt werden, ob gewisse EFH-Gebiete erhalten und sanft verdichtet und welche bestehenden EFH-Gebiete zwecks Erhöhung der Einwohnerdichte transformiert werden sollen. Ergänzend dazu gibt es jedoch verschiedene Handlungsansätze zur Sicherung und sanften Weiterentwicklung der bestehenden EFH-Gebiete, welche die Kleinteiligkeit der Besitzverhältnisse sowie die sozialen, finanziellen und rechtlichen Aspekte des Einfamilienhauses einbeziehen. Angelus Eisinger zeigte in seinem Referat zu Beginn der Veranstaltung auf, welche Handlungsansätze denkbar sind und wie sie in einer Strategie zusammengefasst werden können:
- Die Strategie legt dar, wie die Nutzungsreserven im Bestand aktiviert und eine sanfte Verdichtung gefördert werden können.
- Im Rahmen der Sensibilisierung von bestehenden Hausbesitzer*innen können Alternativen zu Verkauf und Ersatzneubau sowie Optionen für bauliche Anpassungen am Haus aufgezeigt werden. Ein behindertengerechter Umbau sowie eine Aufteilung in zwei Wohnungen kann etwa helfen, den Wohnraum auf die aktuellen Bedürfnisse auszurichten und die Nutzungsdichte leicht zu erhöhen.
- Die Schaffung von finanziell tragbaren (Alters-) Wohnungsalternativen kann einen Beitrag dazu leisten, dass zu gross gewordene EFH freigegeben und wieder besser genutzt werden.
- Schliesslich kann die Stadt oder Gemeinde den Aufbau eines lokalen oder regionalen Fachexpertisen-Pools anregen. Die Bündelung von Expertisen in den Bereichen Architektur, Erb-/ Immobilienrecht, Finanzierung, Energie kann dabei zur sanften und qualitätvollen Weiterentwicklung von bestehenden EFH-Gebieten beitragen.
Die Strategie sollte schliesslich auch aufzeigen, welche Aufgaben und Rollen die verschiedenen beteiligten Verwaltungseinheiten, etwa aus den Bereichen Raumplanung, Grünraum oder Energie, selber übernehmen und welche an private Beratungsunternehmen delegiert werden sollen. Diese verwaltungsinterne Koordination sowie der Beizug von externen Ressourcen können dazu beitragen, dass die planerisch gesetzten Ziele zum Umgang mit den Einfamilienhausgebieten effektiv umgesetzt werden können.
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Im passwortgeschützten Mitgliederbereich der RZU-Webseite steht der Foliensatz zur Veranstaltung zur Verfügung. Hinweise zum Mitgliederbereich sind hier zu finden.