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14. Dezember 2020 | Zukunft Bestand: ein Blogbeitrag zur neuen Reihe

Zukunft Bestand – welche Rollen kann er für die zukünftige Entwicklung spielen?

In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden im RZU-Gebiet und in anderen Wachstumsräumen viele bestehende Gebäude durch voluminöse Neubauten ersetzt. Diese Strategie von Abriss und Neubau ist ein Erbe des 20. Jahrhunders und hat in jüngster Zeit mehr und mehr Kritik nach sich gezogen. Ausgewählte Kritikpunkte sind: Effiziente Neubauten können zwar durch die Verdichtung und die Einsparung von Betriebsenergie zum Klimaschutz beitragen – allerdings nur dann, wenn am Ende die Gesamtbilanz stimmt: Eine im haushälterischen Sinne gemeinte «Verdichtung» findet dann statt, wenn mehr Menschen als vorher auf derselben Siedlungsfläche wohnen und arbeiten. Streng genommen, dürfte auch der prozentuale Zugewinn an Nutzfläche nicht grösser ausfallen als der Personenzuwachs, was in der Praxis aber kaum der Fall ist (vgl. Stadt Zürich 2020, Grafik 4). Ausserdem widersprechen Abriss-Neubau-Projekte häufig der Forderung nach «Netto Null», weil der Bauvorgang energie- und materialintensiv ist und «graue» Energie, die in den intakten Gebäudeteilen steckt, vernichtet wird. Die gängige «Praxis des Ersatzneubaus» wird aber auch kritisiert, weil dabei günstiger Wohnraum ersatzlos verschwindet und baukulturelles Erbe verloren geht. Vor diesem Hintergrund rufen verschiedene Initiativen im In- und Ausland nach fundamental neuen Haltungen und Praktiken im Umgang mit dem Bestand. Ein Beispiel ist das vor kurzem erschienene Manifest «Das Haus der Erde – politisch handeln. Politische Aufforderungen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land» des Bunds Deutscher Architektinnen und Architekten.

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Foto: © RZU

Welche Zukunft hat der Bestand, welche Zukunft kann er ermöglichen? Warum beschäftigt sich die RZU damit? Schon der 2019 gemeinsam mit EBP, SLIK Architekten und der Stadtentwicklung Zürich publizierte Bericht «Zürich als Wohnregion denken und entwickeln» hat dieses Themenfeld als eine der zentralen Herausforderungen deutlich gemacht. Das Thema weiter auszuloten gehört auch zu den Aufträgen des Jahresprogramms 2021 der RZU.

Dieser Beitrag stellt den Auftakt einer Blog-Reihe dar. In dieser Reihe werden wir gemeinsam mit Gästen darlegen, inwieweit ein veränderter Umgang mit Bestand zu einer «Ressource» für eine zukunftsfähige Entwicklung werden kann – eine Ressource, die heute weitgehend brachliegt und nicht genutzt wird. Wir werden dabei verschiedenen Pfaden von Erhalt, Ergänzung, Anpassung, Neudeutung oder Umnutzung nachgehen. Die Potentiale lassen sich rasch umreissen: So kann der weitgehende Erhalt des Altbestands beziehungsweise seine behutsame Anpassung an heutige Bedürfnisse einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung des preisgünstigen Wohnungssegments leisten. Dies beweist beispielsweise der Umbau der Grosssiedlung Tour Bois Le Prêtre in Paris. In anderen Situationen können Teilabriss- und Ergänzungsstrategien mit Neubauten zwischen bestehenden Gebäuden gezielt das bestehende Wohnangebot um fehlende Wohnungstypen anreichern. Beispiele sind der sogenannte Bremer Punkt oder das zukünftige Wohnquartier «Pappelhöfe» in Langenthal. Zudem birgt die Wieder-/Weiterverwendung ausrangierter, aber noch intakter Bauteile unausgeschöpfte Potenziale. So konnte die Sanierung und Aufstockung des Kopfbaus der Halle 118 in Winterthur mit 60 % wiederverwerteten Bauteilen realisiert werden.

Das weite Feld der Potentiale des Bestands darzustellen, wird eine Aufgabe der Blog-Reihe sein. Den Potentialen stehen jedoch vielfältige Hindernisse auf dem Weg zu einer neuen «breitenwirksamen» Praxis gegenüber. Dies bildet den zweiten Schwerpunkt der Reihe. In der Reihe wird es um eine breite Palette von Stichworten gehen, die von der Notwendigkeit integraler Immobilienbewertungsverfahren und gesamtheitlicher Lebenszyklusbetrachtungen, über Neugewichtungen städtebaulicher Beurteilungskriterien bis hin zu einer stärkeren Gewichtung von sozialen und ressourcenbezogenen Aspekten gegenüber baulichen Fragen reichen.