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25. März 2021 | Online-Veranstaltung

Zukunft Bestand: Erkenntnisse vom 11.03.2021

Im Kontext von Bevölkerungswachstum, Verdichtung und den CO2-Reduktionsvorgaben ist der Bestand in der Schweiz seit Jahren schon unter Druck. Tabula rasa erscheint für Bauherren oft als die einfachste und folglich einzig finanzierbare Option. Die Vernichtung von noch nutzbaren «grauen» Energiereserven sowie des «Bestands» gewachsener Grünräume, Nachbarschaften und Erinnerungswerte ist ein hoher gesellschaftlicher Preis. Zusammen mit Barbara Sintzel, Christina Patz und Elli Mosayebi diskutierte die RZU an der Onlineveranstaltung «Zukunft Bestand» fünf im Vorfeld der Veranstaltung entwickelte Thesen. Die Diskussion ergab u.a. folgende Einsichten:

  • Ergänzend zu den genannten Hürden wurde auf die Schwierigkeit verwiesen, heutige Nutzungs- und Komfortansprüche in bestehenden Strukturen zu integrieren. Die Ertüchtigung des Bestands für heutige Anforderungen ist nicht nur aufwändig und kostspielig, sondern zusätzlich mit schwer kalkulierbaren Unsicherheiten z.B. im Genehmigungsverfahren verbunden. Zudem sind Treiber wie Anlagedruck oder Ausnützungsreserven oft derart gross, dass Entscheidungen sehr häufig zugunsten einer Neubaulösung ausfallen.
  • Bestand zu erhalten braucht also Gegensteuer gegenüber diesen Kräften: So wurde betont, dass Bestand nicht nur einen energetischen Wert darstellt, sondern auch immaterielle Werte und technisch-handwerkliche Leistungen in sich trägt, die mit einem Abriss unwiederbringlich verloren gehen. In der Ausbildung müssen Fertigkeiten vermittelt werden, die die Erkennung, Erfassung und Einschätzung dieser inhärenten Werte ermöglichen.
  • Abrisse bedürfen einer kritischeren Prüfung: Die nicht seltenen Abbrüche von 20-40 Jahre alten Gebäuden muss als Alarmsignal gedeutet werden, dass etwas nicht stimmt. Die planerische Aufmerksamkeit fokussiert zu schnell auf neue Vorhaben. Eine umfassende Überprüfung des Bestands und die Gegenüberstellung mit dem Vorhaben kommen zu kurz. Eine kritische Bedarfsanalyse durch Architekt*innen erfolgt aktuell nur im Direktauftrag.
  • Graue Energie muss präziser bilanziert werden, denn zur CO2-Belastung des Bauwesens existiert noch keine Kostenwahrheit. Neue Datenbanken und Veranschaulichungen, wie die Materialpyramide der Royal Danish Academy, tragen dazu bei, dass das Wissen um die CO2-Bilanz von Baustoffen wächst.
  • Die mit der Genehmigung von Umbauten verbundenen Unsicherheiten müssten reduziert werden. Neben einer auf den Neubau ausgerichteten Bauordnung braucht es eine «Umbauordnung», die gesonderte Anforderungen regelt und ein Abrücken von Maximal-Standards ermöglicht.
  • Die Diskussion machte deutlich, dass pauschale Urteile kontraproduktiv sind. Jeder Fall bedarf einer präzisen und umfassenden Überprüfung. Eine solche kann selbstverständlich auch zugunsten einer Neubau-Lösung ausfallen, solange der Erneuerungsstrategie eine energetische Gesamtbetrachtung zugrunde liegt und auch die immateriellen Werte berücksichtigt wurden.
  • Trotz der problematischen Verdichtungspraxis muss am übergeordneten Ziel, an zentralen gut erschlossenen Lagen zu verdichten, festgehalten werden. Die konkrete Verdichtung muss allerdings kritisch begleitet und optimiert werden – gerade in qualitativer Hinsicht.
  • Es braucht mehr gute Beispiele, um auf breiter Ebene zum Umdenken zu bewegen. Diese zeigen am besten auf, wie kreatives und nachhaltiges Umbauen funktioniert und aussieht. Sie motivieren – statt bloss «moralisierend» zu fordern, weniger Schlechtes zu tun. Sensibilisierung für eine qualitätsvolle und bestandssensible Innenentwicklung allein reicht jedoch nicht aus. Ohne politische Unterstützung durch neue Leitplanken lässt sich der geforderte Wandel im Bauwesen nicht durchsetzen.