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30. März 2022 | Beitrag zur Reihe «Labore der Innenentwicklung»

Zürich-Affoltern: ein Leitbild als Kitt für eine abgestimmte und qualitativ hochwertige Zentrums­entwicklung

Im Zentrum des Stadtzürcher Quartiers Affoltern hat sich ziemlicher Entwicklungs- und Transformationsdruck aufgestaut. Zum einen ist da der rund 50-prozentige Bevölkerungszuwachs Affolterns seit 2000, dem das Quartierzentrum als Versorgungs- und Begegnungsort nicht mehr gerecht werden kann. Hinzu kommt die Planung der neuen Tramstrecke vom Zentrum über die Wehntalerstrasse bis an die Stadtgrenze. Die dadurch verbesserte Erreichbarkeit wird ab 2035 mit einem ganztägigen Viertelstundentakt der S-Bahn zusätzlich gesteigert. Dies entspricht auch den Verdichtungsvorstellungen der Stadt für Zürich-Affoltern. Die Stadt hat diese Absichten erstmals 2010 in der Räumlichen Entwicklungsstrategie (RES) formuliert und 2016 in der gesamtrevidierten Bau- und Zonenordnung (BZO) sowie zuletzt im 2021 vom Volk angenommenen kommunalen Richtplan konkretisiert.

Um die vielen planerischen und baulichen Projekte in Affoltern besser aufeinander abstimmen zu können, initiierte die Stadt unter Federführung des Amts für Städtebau zwischen Juli 2017 und Juni 2018 einen breit angelegten Beteiligungsprozess. In diesen Prozess sollten alle wesentlichen Akteure involviert werden. Es wurden insgesamt drei Informationsveranstaltungen sowie drei Workshops durchgeführt. An diesen Veranstaltungen wurden die vielfältigen Anliegen, Absichten und Vorstellungen der interessierten Bevölkerung, der Grundeigentümer:innen sowie der Vertreter:innen aus der städtischen Politik und Verwaltung erhoben und ausgetauscht. Unter der fachlichen Begleitung eines Prozessmoderationsbüros (MICHAEL EMMENEGGER: Analyse und Management von sozialen Prozessen) und eines Planungsteams (bestehend aus Salewski & Kretz und 10:8 Architekten) wurde daraus das stadt­räumliche Leitbild «Zentrums­entwicklung Zürich-Affoltern» entwickelt. Dieses Leitbild beinhaltet sechs räumlich-thematische Leitsätze sowie die wesentlichen Aussagen und Anforderungen zu den einzelnen Stadträumen und Teilgebieten. Im Juni 2018 wurde das Leitbild veröffentlicht und 2019 per Stadtratsbeschluss verabschiedet. Damit wurde das Konzept verwaltungsintern zur verbindlichen Grundlage für die folgenden Planungen und Projekte.

Das Leitbild «Zentrumsentwicklung Zürich-Affoltern» verfügt angesichts des im Quartier breit abgestützten Erarbeitungsprozesses über eine hohe Legitimität und ist, wie dargestellt, für die städtischen Behörden verbindlich. Für die privaten Eigentümerschaften (in diesem Fall v.a. «Grosse» wie Migros Pensionskasse und Post) ist das Leitbild nicht direkt verpflichtend. Durch den Einbezug der wichtigsten Grundeigentümer:innen von Beginn an, entfaltet das Leitbild aber eine indirekte Wirkung, weil die Eigentümer:innen ihre Vorstellungen einbringen konnten und hinter diesem stehen. So wird auch sichergestellt, dass bei der Entwicklung der Schlüsselliegenschaften zwischen der neuen Tramhaltestelle und dem Bahnhof eine Abstimmung im Sinne des Leitbildes erfolgt, z.B. hinsichtlich des öffentlichen Raums und der Verkehrsführung. Im Hinblick auf die Umsetzung des Leitbilds ist auch der Mehrwertausgleich ein wichtiger Hebel. Die von allen Beteiligten gewünschte Verdichtung setzt eine Mehrausnützung voraus. Dies eröffnet der Stadt grosse Spielräume, z.B. für Landabtretungen zur Schaffung eines neuen Platzes.

Auch verwaltungsintern profitiert die Umsetzung des Leitbilds davon, dass alle verschiedenen Ämter und Dienstabteilungen in den Erarbeitungsprozess einbezogen worden sind. Dies hilft nun bei der Entwicklung und Beurteilung aller Einzelvorhaben, an denen die verschiedenen Amtsvertreter:innen beteiligt sind, wie z.B. im Wettbewerb zur neuen Tramhaltestelle am Zehntenhausplatz. Das Leitbild half auch mit, einen Liegenschafts­erwerb, der zur Erstellung eines Parks notwendig ist, politisch zu stützen. Weil die Eigentümerin grosses Interesse und Sympathie für das Engagement der Stadt hatte, bot sie das Land der Stadt exklusiv zum Verkauf an.

Die bisherigen Erfahrungen mit dem Leitbild «Zentrumsentwicklung Zürich-Affoltern» zeigen: Leitbilder können eine wesentliche Wirkung entfalten – gerade auch im Zusammenhang mit der Innenentwicklung. Sie müssen nicht «Papiertiger» bleiben, auch wenn sie rechtlich nicht unmittelbar verbindlich sind. Wichtig ist jedoch, dass die relevanten Akteure bei der Erarbeitung eingebunden, die stadträumlichen Abhängig­keiten intelligent miteinander verknüpft und die erarbeiteten Ziele und Absichten breit abgestützt sind. Dies kann in den anschliessenden Prozessphasen dazu beitragen, dass die notwendigen Abstimmungs-, Aushandlungs- und Verständigungsschritte deutlich beschleunigt und die Qualitäten erhöht werden können. Es braucht jedoch zwingend einen Kümmerer (in diesem Fall das Gebietsmanagement) und insbesondere seitens Stadt die klare Verortung des Stellenwerts eines Leitbildes, damit alle Dienstabteilungen in die gleiche Richtung arbeiten. Die fehlende rechtliche Verbindlichkeit von Leitbildern kann in schwierigen Phasen oder Situationen sogar ein Vorteil sein: Denn sie kann die notwendige Bewegungsfreiheit schaffen, um flexibel auf veränderte Rahmen­bedingungen zu reagieren und trotzdem die wesentlichen Zielvorstellungen im Blick behalten zu können.