RPG1 ist tragfähig, aber es braucht Nachjustierungen und dabei darf die Innenentwicklung auf keinen Fall verwässert werden. Zu diesem Fazit kam der Zürcher Planer Urs Meier, Partner bei Planpartner AG, in seinem Referat vom 06.11.2023. Es war der vierte Beitrag zur Veranstaltungsreihe 10 Jahre Volksentscheid für die Innenentwicklung. In dieser Reihe hat die RZU Planerinnen und Planer mit langjähriger Praxiserfahrung eingeladen, die Umsetzung von RPG 1 vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen und Einschätzungen zu bilanzieren.
Der Blick zurück auf die Phase der Abbruchorgien
In und um Zürich zeigten sich über die letzten Jahre die Rahmenbedingungen und Herausforderungen bei der Umsetzung von RPG 1 früher als anderswo – und besonders deutlich. Im Zürcher Grossraum fiel die Umsetzung von RPG 1 während der letzten 10 Jahre in eine lange Wachstumsphase: Die Wirtschaft, die Bevölkerung, die Einkommen und der Bedarf nach Wohnraum wuchsen stetig. Vor diesem Hintergrund wurde das Thema «planerische Verdichtung» zum bestimmenden Aufgabenfeld der Planungsbüros.
Konkret äusserte sich diese Art der Verdichtung in wahren «Abbruchorgien»: Bestehende Gebäude, Siedlungen und Areale wurden grossflächig abgerissen und mit Neubauten ersetzt. Die Ersatzneubauten waren mit einem ganz klaren «Fussabdruck» auf dem Wohnungsmarkt verbunden: Angesichts der enormen Nachfrage kostete eine neue Wohnung jeweils so viel, wie der Markt hergab. Preisgünstige Wohnungen waren beim Ersatzneubau anteilsmässig fast bedeutungslos. Der Anbau und die Aufstockung von bestehenden Gebäuden waren in den letzten Jahren ebenfalls chancenlos, da Abbruch und Neubau für Investor*innen das finanziell viel interessantere Geschäftsmodell darstellten für die Maximierung des Bodenwertes.
Es harzt bei der Umsetzung der Verdichtung
Diese Gemengelage führte in jüngster Zeit mehr und mehr zu Opposition in Politik und Bevölkerung. So harzt seit 2018 die innere Verdichtung bei vielen Projekten, die von Planpartner betreut werden. Die Politik wird vorsichtiger, die Verdichtung wird nicht nur auf kommunaler, sondern bereits auf regionaler Stufe angegriffen. In dieser Situation entscheiden sich viele Grundeigentümer*innen mehr und mehr für den Weg des geringsten Widerstandes, nämlich die Regelbauweise. Gestaltungspläne und parzellenübergreifende Arealentwicklungen hingegen bergen viele politische Risiken, sind Nachbarschaftsrekursen ausgesetzt und bringen weitere Unsicherheiten mit sich. Damit werden nach Urs Meier aber gerade die beiden Instrumente blockiert, die im Grossen und Ganzen über die letzten Jahrzehnte sehr gut funktioniert haben in der Innenentwicklung.
Zentrale Aspekte der aktuellen Dynamik sind nach Urs Meier das anhaltende Bevölkerungswachstum und die Entwicklung des Wohnflächenverbrauchs. Letzter nimmt nach wie vor zu, auch wenn sich, wie die jüngsten Statistiken zeigen, in der Stadt Zürich über die letzten Jahre eine gewisse Trendumkehr andeutet. Eine theoretische Lösung sieht Meier in einer Wohnflächensteuer, die er allerdings als wenig effektiv, planerisch schwierig und politisch unmöglich einschätzt. So dürfte es wohl so sein, dass wer in einer grossen alten Wohnung im Zentrum lebt, eine solche Steuer gerne in Kauf nimmt und deshalb nicht in eine kleine neue Wohnung zieht, die es an zentraler Lage gar nicht gibt.
Die zweite zentrale Problematik liegt für Urs Meier in der mangelnden Akzeptanz des künftigen Bevölkerungswachstums. Sehr viele Städte und Agglomerationsgemeinden wollen nicht (mehr) wachsen und verdichten, weil sie darin keine Vorteile sehen und bei Politik und Bevölkerung viel Widerstand besteht. Die prognostizierten Zahlen werden als Planungsvorgabe schlichtweg zurückgewiesen. In dieser Situation heisst es, nur in kleinen Schritten vorzugehen und der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken. Denn grosse, abstrakte Pläne funktionieren nicht.
Laut Urs Meier gibt es verschiedene Gründe, weswegen zu wenig dicht gebaut wird. Die mangelnde Akzeptanz von höheren Nutzungsdichten ist nur ein Grund. Es gibt bereits bestehende oder absehbare Regulierungswellen in Zusammenhang mit den Themen Hitzeminderung, Schwammstadt und Netto-Null. Zudem ist vermehrt mit Wohnerhaltungsgesetzen zu rechnen, die zwar restriktiv wirken, aber, wie das Beispiel Genf zeigt, mit negativen Effekten einhergehen dürften.
Was es in Zukunft braucht: eine Umbauordnung, das Prinzip der Dreifelder-Wirtschaft und die Akzeptanz von Heterogenität
So bleibt in der weiteren räumlichen Entwicklung die Zustimmung des Souveräns eine anspruchsvolle Hürde. Innenentwicklung müsse künftig, schlägt der Planer vor, nach dem Prinzip der Dreifelder-Wirtschaft angepeilt werden: ein Drittel belassen und nur sanft sanieren, ein Drittel erheblich sanieren und ein Drittel mit dichteren Bauten ersetzen. Aufzonungen sind wichtiger als Einzonungen. Das heisst vermehrt umzubauen statt abzubrechen. Die Grundlagen für einen solchen Kurswechsel sind in einer «Umbau-BZO» zu legen. Diese muss so konzipiert sein, dass sie eine substanzielle Auseinandersetzung mit dem Bestand bei Investitionsentscheiden auslöst.
Ein solcher Wechsel auf mehr Umbau- und Anbauten geht jedoch mit mehr Vielfalt einher, die architektonische Konventionen, wie sie in Stadtbildkommissionen als Leitideen der baulichen Entwicklung formuliert werden sind, herausfordert, mehr noch: in Frage stellt. Nach Urs Meier müssen wir lernen, eine gewisse Heterogenität zu akzeptieren. Gleichzeitig werden die Grossstädte (Basel, Bern, Genf, Zürich) die überdurchschnittliche Verdichtung nicht alleine stemmen können. Die «Zwischenstadt der Agglomerationsräume» wird nach ihm entscheidend sein, ob und inwiefern die weitere räumliche Entwicklung nach innen gelingt.
Abschliessend hält Meier fest, dass das Prinzip in der Innenentwicklung zwar unbestritten ist, dass aber in Zukunft Qualität vor Quantität zu gehen habe und Netto-Null nur mit verbindlichen CO2-Flächenvorgaben erreichbar sei. Gleichzeitig habe es sich aber gezeigt, dass die qualitativen Vorgaben für die Innenentwicklung in der Praxis vielfach zu hoch seien. Dies stelle ein Hindernis dar, weil damit unzählige Auflagen verbunden sind, die Investor*innen zunehmend nicht mehr erfüllen wollen. Qualitätsansprüche dürften, so Meier, aber die Innenentwicklung nicht torpedieren. Es brauche deshalb «sanfte» Instrumente, die eine grosse Wirkung haben, weil sie über architektonische Qualität und Begrünung langfristige Mehrwerte schaffen. Für die Wohnraumförderung muss es Ziel sein, möglichst viel mit der Grundordnung und dem städtebaulichen Vertrag zu erreichen, nur bei besonderen Anforderungen ist der Gestaltungsplan das beste Instrument.
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