zurück

30. September 2024 | Bilanz zu 10 Jahren RPG 1

RPG 1 – Gamechanger und herausfordernde Daueraufgabe: Frank Argast zieht eine persönliche Bilanz zu 10 Jahren RPG1

Am 04.12.2023 schloss Frank Argast, Co-Leiter Raumentwicklung & Planung des Stadtzürcher Amtes für Städtebau, mit seinem Beitrag zur Innenentwicklung aus Sicht der Stadt Zürich die Veranstaltungsreihe 10 Jahre Volksentscheid für die Innenentwicklung ab. In dieser Reihe hat die RZU Planerinnen und Planer mit langjähriger Praxiserfahrung eingeladen, die Umsetzung von RPG 1 vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen und Einschätzungen zu bilanzieren.

Gleich eingangs hielt Frank Argast fest, dass RPG 1 ein Gamechanger sei und ein ganz starkes Instrument, um die Siedlungsentwicklung wirkungsvoll zu lenken und weiterer Zersiedlung entgegenzuwirken. Mit dem 2013 revidierten Raumplanungsgesetz verfüge die schweizerische Raumplanung im internationalen Vergleich über ein aussergewöhnliches Instrument, wie sich im Austausch mit ausländischen Fachpersonen immer wieder zeige.

RPG1 rückte die ganzheitliche Planung und die qualitative Verdichtung in den Fokus

RPG1 hat seit 2019 auch ganz konkrete Auswirkungen auf die Entwicklung der Stadt Zürich gehabt, auch wenn in Zürich die Innenentwicklung schon viel länger planerisches Gebot war. Seit den 1990er Jahren fand die Entwicklung in der Stadt Zürich vornehmlich über Arealentwicklungen in Industrie- und Bahnbrachen statt. RPG1 hat dann die ganzheitliche Planung und damit die qualitative Verdichtung in den Fokus gerückt. Aktuell wird überall in der Stadt entwickelt und gebaut. Den planerischen Rahmen dazu bildet der kommunale Richtplan von 2022. Der von der Stimmbevölkerung mit über 60% angenommene Richtplan legt die künftigen Schwerpunkte der städtischen Entwicklung in den Westen und Norden der Stadt, also in die ehemaligen Aussenquartiere Altstetten, Affoltern und Seebach. Das kommunale Konzept Zürich 2040 (pdf, 8.5mb) aus dem Jahr 2018 ist ein räumliches Konzept für die wachsende Stadt. Es zeigt auf, wie sich der prognostizierte Quantensprung auf über 500’000 Einwohner*innen auf die Dichte, räumliche Struktur und Erschliessung sowie auf die Freiräume und öffentlichen Bauten in der Stadt auswirken wird. Die Zahlen machen die Dimensionen deutlich, um die es dabei gehen wird: Die zusätzlichen 100‘000 Bewohnerinnen und Bewohner führen zu einem zusätzlichen Flächenbedarf von 17 ha für Schulen, 26 ha für Sportanlagen und 40 ha für neue Frei- und Grünräume, die, wie im kommunalen Richtplan betont wird, essenziell für die künftige Lebensqualität sind.

Vergangene und kommende Wachstumsschübe

Seit 2000 bestimmt die Verdichtung im bereits überbauten Gebiet die räumliche Entwicklung in der Stadt. Seit der Jahrtausendwende sind 35‘000 Wohnungen realisiert worden – bei einem Wohnungsgesamtbestand von aktuell ca. 230‘000 Wohnungen. Dazu kommen ca. 40‘000 Wohneinheiten, die sich im Moment in Planung befinden. Für die kommenden Jahre bahnt sich also ein eigentlicher Wachstumsschub an. Im Zentrum steht dabei neu die Transformation der durchgrünten und offenen Stadt, die vornehmlich im Zuge des 20. Jahr­hunderts entstanden ist. Damit sollen in den richtplanerisch bestimmten Schwerpunkten der städtischen Entwicklung einerseits die massiven Verdichtungspotentiale, die die BZO-Revisionen der 1990er Jahre geschaffen hatten, Schritt für Schritt realisiert und andererseits zusätzliche Aufzonungen vorgenommen werden. Die jüngsten Transformationen von Schwamendingen und Albisrieden und die anstehenden Veränderungen in Altstetten zeigen dies exemplarisch. Insgesamt dominiert in diesen Quartieren bis heute der Ersatzneubau. Damit einher geht eine planerisch gewünschte Verdoppelung oder oft sogar eine Verdreifachung der Geschossflächen. Verglichen mit den vorher bestehenden Gebäuden steigen in der Regel auch die Anzahl Wohnungen und Bewohner*innen markant an.

Schlüsselrolle für den gemeinnützigen Wohnungsbau

Angesichts dieser grossen Dynamik spielt, so Frank Argast, der gemeinnützige Wohnungsbau eine Schlüsselrolle für die zukünftige Stadtentwicklung: Er ist deutlich günstiger als der Wohnungsbau zu Marktbedingungen, dessen Preisniveau im Schnitt gegen 50% höher liegt. Damit wirkt der gemeinnützige Wohnungsbau stabilisierend, fördert Durchmischung und stellt im Vergleich zum privaten Wohnungsbau häufiger Wohnungen mit mehr Zimmern zur Verfügung. Gleichzeitig ist der durchschnittliche Wohnflächenkonsum pro Kopf geringer.

Mit Blick auf die kommenden Jahre birgt für Frank Argast das Thema Wohnen politisch den grössten Sprengstoff. Der 2019 publik gewordene Abrissplan für die Wohnüberbauung Brunaupark hat massiv mobilisiert und dazu geführt, dass seither jedes grössere Wohnbauvorhaben politisch kritisch durchleuchtet wird. In diesem Zusammenhang spricht Argast von einer Quadratur des Kreises, mit der die Stadt Zürich konfrontiert sei. Bis 2040 gilt es, Wohnraum für 100‘000 zusätzliche Personen zu schaffen, gleichzeitig Netto-Null zu erreichen und die bauliche Entwicklung so zu gestalten, dass sie sozialverträglich und gesellschaftlich akzeptiert ist.

Hindernisse bei der Umsetzung der Innenentwicklung

Die aktuelle Entwicklung in Zürich zeigt noch etwas: Je näher die Umsetzung der Planungen rückt, desto grösser werden die Hindernisse. Was auf der Ebene des abstrakten Richtplans noch entschieden befürwortet wurde, wird nun als konkretes Bauvorhaben oft bekämpft. Erschwerend kommt da die Eigentümerstruktur hinzu. So gehört die Hälfte der Wohnungen Privatpersonen, die im Gegensatz zu Entwicklern oder Genossenschaften in der Regel nicht auf die Stadt zukommen, wenn sie ihre Liegenschaften sanieren oder abreissen und neu bauen. Gleichzeitig haben sich unter den heutigen Bedingungen die Kräfteverhältnisse im Vergleich zur Phase der Brachen-Transformationen in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zu Ungunsten der Planung verschoben. Konnte damals die Stadt zum Beispiel Mehrausnutzungen als Gegenwert für ihre Forderungen in die Verhandlungen einbringen, fehlen heute solche Mittel und Anreize zusehends. Auch hier sind die Entwicklungen in Altstetten instruktiv: Der kommunale Richtplan sieht für weite Teile Altstettens eine sehr hohe Dichte von über 250% vor. Dieser Sprung soll durch einen Wechsel von der bestehenden offenen zu einer geschlossenen Bebauung mit Blockrändern und begrünten Höfen erfolgen, ergänzt um öffentliche Freiräume. Das eigentliche «Pièce de résistance» auf dem Weg zur Realisierung der neuen urbanen Form bildet die heterogene Grundeigentümerstruktur und die offene Bauweise. Diese erschweren eine Entwicklung im Sinne der Richtplanung und der anschliessenden Vertiefungen, weil aufgrund wohnhygienischer Aspekte aufwändige Absprachen und gegenseitige Näherbaurechte nötig werden.

Es braucht neue Spielregeln

Mit Blick auf die Zukunft stellt Frank Argast fest, dass die Innenentwicklung noch herausfordernder werden wird. Die Diskrepanz zwischen sozialen und ökologischen Forderungen auf der einen Seite und gesetzlichen Handlungsmöglichkeiten auf der anderen ist bereits hoch und dürfte noch weiter zunehmen. Gelingt es nicht, plausible Antworten auf dieses Spannungsfeld zu finden, drohen in der Stadt Zürich erhebliche Entwicklungs­blockaden. Dies könnte dazu führen, dass sich das räumliche Wachstum in die periphere Agglomeration im Mittelland verlagert, was die Zielsetzungen von RPG 1 unterläuft.

Aus Sicht von Frank Argast braucht es neue Spielregeln, um eine auch gesamtschweizerisch unerwünschte Verlagerung der räumlichen Dynamik ins weitere Umland zu verhindern. Diese Spielregeln sollen es erlauben, der angesprochenen Quadratur des Kreises erfolgreich zu begegnen. Konkret zählt er eine ganze Reihe von Punkten auf: Wichtig sind gleich lange Spiesse zwischen Neubau und Umbau, damit eine sorgfältige Abwägung zwischen Erhalt und Abriss erfolgen muss. Hier könnten Treibhausgas-Bilanzen eine zentrale Rolle in der Projektentwicklung spielen. Dazu bedarf es aber neuer gesetzlicher Grundlagen, namentlich auf kantonaler Ebene. Weiter braucht es substanzielle Antworten im Bereich des preisgünstigen Wohnungsbaus. Der vor wenigen Jahren im Kanton Zürich eingeführte PBG-Paragraph 49b ist für Frank Argast nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Entscheidende Impulse für das preisgünstige Wohnen könnten auch von der Ausgestaltung des Miet- und Steuerrechts sowie der Anlagebestimmungen der Pensionskassen ausgehen. Am Beispiel der aktuellen Planung Heiligfeld zeigte Argast schliesslich, dass es unter geeigneten Voraussetzungen möglich ist, preisgünstigen Wohnraum zu erstellen und dabei ökologische Anliegen umzusetzen.